Zwei Jahre Klima-Bürger*innenrat Berlin – und jetzt?

  10. Juli 2024 Aktuelles

Am 30.06.2022 überreichte der Klima-Bürger*innenrat seine Handlungsempfehlungen für die Berliner Klimapolitik an den Berliner Senat. Doch wie läuft es zwei Jahre später mit der Umsetzung?

Von April bis Juli 2022 hatte ein Bürger*innenrat aus 100 zufällig ausgelosten Personen unter wissenschaftlicher Begleitung über geeignete Maßnahmen für wirksamen Klimaschutz in der Hauptstadt diskutiert. Gemeinsam wurden 47 Empfehlungen an die Politik erarbeitet und der Berliner Regierung übergeben. Zu den Empfehlungen zählten die Einschränkung des Autoverkehrs bei gleichzeitiger Stärkung des ÖPNV, der Stopp des Ausbaus der Stadtautobahn A100 und die Einführung einer Null-Emissions-Zone innerhalb des S-Bahn-Rings. Auch die schnellere energetische Sanierung von Gebäuden und die Nutzung leerstehender Flächen für Wohnraum wurden gefordert.

Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) immer noch nicht beschlossen

Im Dezember 2022 beschloss der Senat, einen Großteil der Empfehlungen des Klima-Bürger*innenrates in das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) zu übernehmen. Das BEK wurde allerdings nach wie vor nicht vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Auch ein von der damaligen Umweltsenatorin Bettina Jarasch versprochenes Gespräch mit den Mitgliedern des Klima-Bürger*innenrates nach einem Jahr, fand mit der neuen Regierung von CDU und SPD bis heute nicht statt – Zeit also für eine kritische Bestandsaufnahme. Hierfür haben wir mit Matthias Krümmel gesprochen.

Matthias Krümmel ist Fachreferent für Klimaschutzpolitik bei der Landesgeschäftsstelle des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin.

BürgerBegehren Klimaschutz: Matthias, vor zwei Jahren wurden die Empfehlungen des Klima-Bürger*innenrates an den Senat übergeben. 31 von 47 Maßnahmen wurden vollständig und 12 Maßnahmen teilweise ins Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK) übernommen. Wie siehst du heute den Stand der Umsetzung der Empfehlungen und allgemein des BEK, das im Abgeordnetenhaus immer noch nicht beschlossen wurde?

Matthias Krümmel: Dass das BEK noch nicht beschlossen wurde, ist ein politisches Problem der schwarz-roten Koalition. Sich als Regierung - auch mit unterschiedlichen politischen Prioritäten in so einer Koalition - diesem demokratisch legitimierten Programm nicht zu verpflichten, ist traurig. Dass wegen der Mobilitätsfrage rund um die A100, wegen der das BEK im Grunde blockiert wird, die Empfehlungen des Klima-Bürger*innenrates politisch nicht zu Ende gebracht werden, ist ein Problem für die politische Kultur.

"Dass die Empfehlungen des Klima-Bürger*innenrates politisch nicht zu Ende gebracht werden, ist ein Problem für die politische Kultur"

BBK: Du hast es eben schon erwähnt: ein zentraler Aspekt aus den Empfehlungen des Bürger*innenrates ist das Bekenntnis, die Stadtautobahn A100 nicht weiter auszubauen. Welche Rolle spielt der Punkt bei der Umsetzung des BEK?

MK: Bei der politischen Umsetzung im Abgeordnetenhaus ist das der casus knacksus, weil man im Koalitionsvertrag die A100 bewusst ausgespart hat. Aber die Regierenden werden nicht umhinkommen, sich dazu zu positionieren. Dass man aber aufgrund der Positionierung zur A100 sozusagen als Bauernopfer das demokratisch legitimierte Programm des BEK nimmt, ist für mich ein Armutszeugnis. Dann haben wir ersatzweise politische Programme gesehen, die jetzt unter Schwarz-Rot ersatzweise den großen Wurf beim Klimaschutz bringen sollten, aber nicht juristisch umsetzbar waren – bestes Beispiel ist das Sondervermögen. Wir haben aber im Moment keine Alternative zum Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm und zu den Empfehlungen, die bürgerschaftlich mit entstanden sind.

BBK: Eine Empfehlung vom Klima-Bürger*innenrat war auch die Einführung einer Null-Emissions-Zone in der Innenstadt, diese Empfehlung wurde an sich auch ins BEK übernommen. Was ist mit dieser Empfehlung passiert und wie siehst du hier den Stand der Umsetzung?

MK: Ich antworte mal etwas anders. Die Nullemissionszone ist natürlich ein Impuls, sich zu orientieren und dringend nötige harte ökologische Leitplanken in der Klimapolitik zu formulieren. Unter anderem für Verkehr, Gebäude und Energieerzeugung. Und dafür wäre so ein Leuchtturmprojekt wie eine Nullemissionszone natürlich total gut geeignet, um das einmal einfach durchzuexerzieren: Was ist hier erlaubt? Was wird hier gefordert? Was wird hier gefördert? Aber was wird auch ausprobiert und welche Konflikte werden hier innerhalb einer solchen Zone ausgetragen? Und da kommen dann extrem viele Politiken raus, die wir im Moment noch gar nicht sehen. Ich meine, wir wissen alle, dass eine Null-Emissions-Zone in absehbarer Zeit keine Realität ist. Wir haben zwar viele Konzepte und sprechen viel. Aber die Politiken, die wirklich die schmerzhaften Punkte angehen würden, die sehe ich auch noch nicht am Horizont. Und als zweites hierzu: Die aktuelle Situation ist hauptsächlich dem aktuellen Haushaltschaos geschuldet. Eigentlich sollten Gelder für Klimaschutz bereitgestellt werden, im Grunde kommen diese Gelder aber gerade unter die Räder. Und wir brauchen neben der Politik und den ökologischen Leitplanken tatsächlich auch Investitionen. Die können nicht nur von privat und aus intrinsischer Motivation heraus erfolgen, sondern hier muss auch wieder über Sondervermögen und die Schuldenbremse gesprochen werden.

"Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre das ein Klimabürger*innenrat nur zum Thema der Wärmewende"

BBK: Bürgerschaftliches Engagement und Bürger*innenbeteiligung wurden jetzt von dir schon mehrfach erwähnt – wie wichtig bleiben diese trotz oder gerade wegen der bisher mangelhaften Umsetzung des BEK für die Berliner Klimapolitik?

MK: Wir spüren, dass sich dort draußen im Land Berlin viele Bürger*innen aufmachen, Genossenschaften gründen, sich zusammenschließen, das Thema Wärmewende, das Thema Umbau des Gebäudebestandes angehen wollen. Sie wollen praktikable Lösungen haben. Sie wollen auch nicht mehr länger darüber reden, sondern sie wollen anfangen. Und da habe ich das Empfinden, dass gerade die schwierige Frage der Wärmewende viel stärker bürgerschaftlich mit abgeholt werden müsste. Die Beteiligung zu den Fragen, wie wir zukünftig heizen und unsere Stadt auch umbauen werden müssen, die muss ganz weit vorgezogen werden. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre das ein Klimabürger*innenrat nur zum Thema der Wärmewende und der kommunalen Wärmeplanung.

"Die gesellschaftliche Dynamik für Klimaschutz ist nicht so schlecht, wie sie in der Politik gesehen wird"

Und das wäre an der Zeit, auch weil die gesellschaftliche Dynamik für Klimaschutz glaube gar nicht so schlecht aussieht, wie sie in der Politik gesehen wird. Die mangelhafte Umsetzung der Ergebnisse der Beteiligungsprozesse ist allerdings ein großes Problem. Warum sollen man sich beteiligen, wenn später keine Ergebnisse übertragen werden, wenn keine Diskussion, kein weiterführendes Monitoring dieser Vorschläge stattfindet und wenn man nicht das Gefühl bekommt, dass sie in den politischen und dann auch in den verwaltungstechnischen Apparat überführt werden? Politischer Populismus hat insofern gewirkt, dass wir jetzt oft eher Scheinbeteiligungsformate sehen und nicht das Gefühl haben, wirklich ernsthaft abgeholt zu werden. Damit Projekte funktionieren, gibt es Scheinbeteiligung – das ist total absurd.

 

Hier geht es zu den Empfehlungen des Bürger*innenrates Klima

 

Bild: Klimaneustart Berlin

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