Der Ausbau von LNG-Infrastruktur wird in Deutschland seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine von der Bundesregierung forciert. Dabei wird der tatsächliche Bedarf an Erdgas ohne Lieferungen aus Russland weit überschätzt. Nachdem bereits drei schwimmende LNG-Terminals gebaut wurden, stößt das nächste Vorhaben auf Protest. Auf Rügen möchten Bewohner*innen das Terminal vor dem Hafen Mukran durch Bürgerentscheide verhindern. BBK war vor Ort.

LNG-Ausbau in Deutschland

Mit dem “Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases” - kurz: LNG-Beschleunigungsgesetz - hat die Bundesregierung im Mai letzten Jahres den beschleunigten Ausbau von 8 schwimmenden und 4 festen LNG-Terminals sowie deren Anbindung an das bestehende Fernleitungsnetz beschlossen. Beschleunigt werden dabei das Zulassungsverfahren und die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen. Etwa entfällt die sonst übliche Umweltverträglichkeitsprüfung, “wenn eine beschleunigte Zulassung des konkreten Vorhabens geeignet ist, einen relevanten Beitrag zu leisten, um eine Krise der Gasversorgung zu bewältigen oder abzuwenden.” 

Im Zulassungsverfahren wird die Öffentlichkeitsbeteiligung stark eingeschränkt, da die sonst üblichen Fristen zur Einsicht in Pläne und für Beschwerden verkürzt werden. Die geplanten Anlagen für verflüssigtes Erdgas (LNG) erhalten eine Zulassung bis 2043 oder über 2043 hinaus, wenn sie klimaneutralen Wasserstoff oder Derivate transportieren. Für das Bundesnaturschutzgesetz und das Wasserhaushaltsgesetz gelten auch vereinfachte Verfahren. Beschwerden und Anfechtungsklagen haben keine aufschiebende Wirkung. Die Zuständigkeit für sämtliche Streitigkeiten liegt zudem beim Bundesverwaltungsgericht.

Der Hintergrund für dieses Gesetz ist die geplante Unabhängigkeit von Energielieferungen aus Russland infolge des russischen Angriffskriegs. Bereits im Juni 2022 hatte Russland die Lieferungen über die North Stream 1 Pipeline eingestellt. Über die Festlandleitungen bezog Deutschland dann erst noch weiterhin Erdgas aus Russland. Seit September 2022 sind auch diese Lieferungen gekündigt worden. Als Ersatz wurden zum einen die Erdgasexporte aus Norwegen und den Niederlanden erhöht. Zum anderen wurden sie durch die bereits gebauten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Lubmin ersetzt.

Wie das New Climate Institute in einer Studie von Dezember 2022 ausführt, würde der Bau aller von der Bundesregierung geplanten LNG-Terminals den Erdgasimport um 50% dessen steigern, was vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine aus Russland importiert wurde. Es würde also nicht nur mehr Erdgas importiert als vor dem russischen Angriffskrieg. Der momentane Erdgasbedarf Deutschlands wird auch bereits von EU-Nachbarländern gedeckt. Vor allem aber würde der Bau von festen Terminals die Nutzung von klimaschädlichen LNG nach 2035 in einer Zeit zementieren, in der schon längst der Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden sollte. Die Inbetriebnahme der in Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Rostock geplanten festen Terminals sind also aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht notwendig und aus Sicht des Klimaschutzes katastrophal. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von Februar 2023 bestätigt diese Einschätzungen. 

Drei schwimmende LNG-Terminals sind bereits in Betrieb: vor Wilhelmshaven und Brunsbüttel in der Nordsee und vor Lubmin in der Ostsee. Dort stehen als schnelle Lösung bis zum Bau von festen Terminals an Land Schiffe zur Regasifizierung des gelieferten LNGs vor den Häfen. Beide Nordsee-Standorte docken an bereits bestehenden Industriestandorten an. Bei Lubmin wird das wieder in den Gaszustand gebrachte Flüssigerdgas in die Fernleitungen gelenkt, die eigentlich für North Stream 1 gebaut wurden. An allen Standorten klagen Anwohner über den Lärm, der durchgehend von den Regasifizierungs-Schiffen ausgeht. Die jeweiligen Landesregierungen unterstützen jedoch die Entwicklung und wirken im Protest mit Anwohnern vermittelnd.

Der Fall Rügen

In Rügen, nicht weit von Lubmin, könnte sich jetzt die Lage ändern. Seit einigen Monaten ist der ehemalige Industriehafen der DDR, Mukran als weiterer LNG-Standort im Gespräch. Zwar gab es Besuche von Olaf Scholz und Robert Habeck auf Rügen, doch an den Plänen der Bundesregierung beteiligt fühlen sich die Bürger*innen nicht. Am 17. Mai wurde der Standort offiziell in das Gesetz aufgenommen. Als Reaktion regte der Bürgermeister von Binz, Karsten Schneider, an, in allen Gemeinden Rügens Bürgerentscheide zum Thema durchzuführen. 

Um die Bürgerbeteiligung in den Gemeinden selbst anzustoßen, fand am 23. Mai ein Bürgerforum, organisiert von der Deutschen Umwelthilfe und der Gemeinde Binz statt. Campaigner Eric Häublein war vor Ort und hat mit den Bürger*innen und  Bürgermeister Karsten Schneider gesprochen. Von Berlin aus haben wir außerdem die Bürgervereinigung Zukunft Sellin kontaktiert, die bereits eine Unterschriftenaktion gegen das Terminal begonnen hat. Die Bestrebungen in Rügen möchten wir mit unserer Expertise im Bereich der direkten Demokratie zum Erfolg bringen. 

Wie laufen die Bürgerbegehren ab?

Die Kompetenz über das Bauvorhaben des Terminals liegt durch die Aufnahme ins LNG-Beschleunigungsgesetz nicht mehr bei den Gemeinden. Erfolgreich durchgeführte Bürgerentscheide könnten dennoch eine Empfehlung an die Bundesregierung aussprechen. Und wenn sich alle 37 Gemeinden Rügens auf diese Weise gegen LNG aussprechen, dann gibt es eine klare Meinungsäußerung der Bevölkerung, die schwer zu ignorieren sein wird. Die Bürgerentscheide können in dem Fall von den Gemeinderäten als sogenannte Vertreterbegehren initiiert werden. Das sind Bürgerentscheide, die keine vorlaufende Unterschriftensammlung benötigen, da sie im Gemeinderat mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. In Mecklenburg-Vorpommern werden sie im Sinne des Begehrens entschieden, wenn sich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen dafür ausspricht, sofern diese Mehrheit 25% der Wahlberechtigten ausmacht. 

Bevor die Aufnahme von Mukran im LNG-Beschleunigungsgesetz im Juli vom Bundesrat bestätigt wird, könnte die Stimmung auf Bundesebene durch schnell durchgeführte Bürgerentscheide bereits kippen. Wenn LNG auf Rügen durch direkte Demokratie verhindert wird, könnte das zudem ein starkes Zeichen gegen den Bau der festen Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel sein.