Noch vor der letzten Bundestagswahl haben wir als BBK 2021 in Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren einen Bürgerrat zum Thema Klimaschutz durchgeführt, der Empfehlungen für die derzeitige Regierung erarbeitet hat. Die Empfehlungen wurden anschließend den Kanzlerkandidat*innen übergeben und flossen zum Teil in den Koalitionsvertrag der Ampelregierung ein. Während wir weiterhin verfolgen, wie die Empfehlungen der Bürgerrät*innen auf Bundesebene umgesetzt werden, begleiten und beraten wir auch auf kommunaler Ebene zu Bürger*innenräten für Klimaschutz. Denn gerade auf kommunaler Ebene stehen wir in Sachen Klimaschutzmaßnahmen vor großen Herausforderungen. Das Instrument Bürgerrat bietet dabei ein gutes Mittel, um zu ambitionierten politischen Entscheidungen zu kommen, die gleichzeitig einen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Und das wiederum ist für die Umsetzbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen essenziell.

Bürger*innenräte

Bürger*innenräte sind ein relativ neues Mittel, um Bürger*innen in die Politik einzubeziehen. Ihre Grundidee ist es, dass normale Bürger*innen für die Politik hilfreiche, da mehrheitsfähige, Empfehlungen erarbeiten. Voraussetzung dafür ist die Bereitstellung von Informationen (z.B. durch Vorträge) und freie Deliberation, also die Diskussion und Erarbeitung von gemeinsamen Lösungen. Um die Gesamtbevölkerung abzubilden, werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vorfeld per Losverfahren und anhand von sozialen und demographischen Kriterien ausgesucht. Es tagt also eine “Mini-Bevölkerung” zu bestimmten Themen und formuliert am Ende Empfehlungen für die Politik oder für Volksabstimmungen.

Eine Form von Bürger*innenräten gibt es schon seit 1386 in Glarus in der Schweiz. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sich einfache Bürger*innen in einer allen zugänglichen Versammlung zu politischen Beschlüssen von gewählten Politiker*innen äußern und abstimmen. Seit einigen Jahren finden neuere Bürger*innenräte als beratende Gremien für Volksabstimmungen international zunehmend Anklang. Im Vorfeld von Referenden zu Wahlrechtsreformen wurden beispielsweise in den frühen 2000er Jahren Bürger*innenräte in Kanada und den Niederlanden durchgeführt. Nach der Eurokrise etablierte sich das Instrument dann vor allem in Irland.

Als Vorbild für heutige Bürger*innenräte dient daher die "Citizens' Assembly" aus Irland. Bevor dieser Bürger*innenrat von der Regierung eingesetzt wurde konnte das wissenschaftliche Projekt "We The Citizens" zeigen, dass deliberative Demokratie in der Praxis funktioniert. Die für ihren experimentellen Bürger*innenrat zufällig ausgewählten Teilnehmer*innen zeigten im Anschluss mehr Interesse an Politik, Wille zum Diskutieren und dazu sich politisch einzubringen und hatten mehr Vertrauen darauf, als "einfache Leute" einen Einfluss auf die Politik ausüben zu können. Die 2011 gewählte Regierung entschied im Anschluss an dieses Projekt, einen beratenden Verfassungsrat bestehend aus einem Drittel Abgeordneten und zwei Dritteln zufällig gewählten Bürger*innen einzusetzen. Da dies half, einige anstehende Verfassungsänderungen per Referendum durchzusetzen, wurde in der wiederum nächsten Legislaturperiode die Einsetzung eines Bürger*innenrats ohne Berufspolitiker*innen beschlossen. Die "Citizens' Assembly" half unter anderem bei der öffentlichen Meinungsbildung im Vorfeld der beiden Volksentscheide zur Liberalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe und von Schwangerschaftsabbrüchen und trug maßgeblich zu deren Zustimmung in der Bevölkerung bei.

Bürger*innenräte zum Klima

Die Rolle für Bürger*innenräte zum Klimaschutz wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie dringlich der Handlungsbedarf ist und welche Konsequenzen dies für die Gesellschaft hat. Laut Sachverständigenrat für Umweltfragen müsste Deutschland bis 2027 klimaneutral sein, um einen "ausreichenden, angemessen und gerechten Beitrag" zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten.[1] Die hierfür nötigen Emissionseinsparungen würden zum Beispiel auch eine schnellere Reduktion des fossilen Verkehrsaufkommens und die Stilllegung von fossilen Kraftwerken weit vor 2038 erfordern. Da solche politischen Entscheidungen polarisieren können, bieten sich Bürger*innenräte an, um eine Einschätzung zu bekommen, welche Klimaschutzmaßnahmen gesellschaftlich unterstützt werden.

Nachdem 2018 in Irland auch das Thema Klimaschutz in der "Citizens' Assembly" behandelt wurde und seine Empfehlungen zu einer neunen Klimaschutzkommission und einem nationalen Klimaaktionsplan führten, zogen andere Regierungen nach. In Großbritannien und Frankreich wurden anschließend auch Bürger*innenräte speziell zum Thema Klima beauftragt. In Frankreich war dies mitunter eine Reaktion auf die Gelb-Westen-Proteste, welche die Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung im Klimaschutz deutlich machten. Es folgten der schottische und der dänische Klimabürgerrat. Diese Bürger*innenräte wurden jeweils von ihren Landesregierungen, parlamentarischen Gruppen, oder (im Fall von Frankreich) vom Präsidenten initiiert.

Der “Bürgerrat Klima” in Deutschland ging im Gegensatz dazu von der Zivilbevölkerung aus. Vor der anstehenden Bundestagswahl 2021 empfahlen die Scientists for Future einen Klimabürger*innenrat durchzuführen, um die Empfehlungen dem neuen Parlament vorlegen zu können. Der “Bürgerrat Klima” wurde dann von BürgerBegehren Klimaschutz (BBK) als Träger initiiert und von drei unabhängigen Forschungsinstituten (nexus, Ifok und IPG) durchgeführt. Er tagte von April bis Juni 2021 und beriet sich zu der übergreifenden Frage, “wie Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreichen” kann. Das ausgearbeitete Bürgergutachten wurde allen Kanzlerkandidat*innen und Abgeordneten des Bundestages überreicht.

Entwicklung bis heute

Mittlerweile fanden bereits über 100 Klimabürgerräte weltweit statt: auf lokaler, nationaler und globaler (bisher erst einer 2021 parallel zur COP26 in Glasgow) Ebene. Vorreiter ist dabei eindeutig Großbritannien, wo bereits 37 Klimabürgerräte auf lokaler Ebene stattfanden. In Deutschland fanden bisher 13 Klimabürger*innenräte in Städten, einer im Landkreis Göttingen, und in Sachsen-Anhalt ein Hochschulklimarat statt. Auf Landesebene gab es außerdem den Berliner Klima-Bürger*innenrat, der nach erfolgreicher Volksinitiative vom Berliner Senat eingesetzt wurde und Empfehlungen für die Berliner Klimapolitik erarbeitete.

In Deutschland erlangt das Thema Bürger*innenräte ganz aktuell wieder Aufmerksamkeit durch die Letzte Generation. Der von ihr geforderte ‚Gesellschaftsrat‘ ist an die Idee von Bürger*innenräten angelehnt. Jedoch soll er nach ihrem Konzept erarbeiten, wie Deutschland bis 2030 komplett aus fossilen Energien aussteigen kann. Wir stehen mit der Letzten Generation im Kontakt, weisen aber auch stets drauf hin, dass es bereits Handlungsempfehlungen an die deutsche Klimapolitik durch unseren Bürgerrat Klima gibt. Die Bundesregierung plant zudem laut Koalitionsvertrag bis zu drei Bürger*innenräten auf Bundesebene. Als erstes in der Reihe wird vom Bundestag 2023 erstmal ein Bürger*innenrat zum Thema Ernährung beauftragt. Da das Thema Ernährung auch relevant für den Klimaschutz ist, beobachten wir genau, was sich dort tut.

 

Beratungsangebot von BBK

Als BBK beraten wir euch gerne, wenn ihr in eurer Stadt, eurem Landkreis, eurer Hochschule oder eurem Bundesland einen Klimabürger*innenrat herbeiführen wollt. Wir vernetzen euch mit anderen Initiativen in euerer Nähe oder vermitteln euch Kontakte zur Bürgerrats-Szene. Nicht zuletzt geben wir gerne unser Wissen und unsere Erfahrung aus der Durchführung vom Bürgerrat Klima weiter.


[1] SRU (Juni 2022) Wie viel CO₂ darf Deutschland maximal noch ausstoßen? Fragen und Antworten zum CO₂-Budget