Demokratische Innovation für eine nachhaltige Zukunft
Ein Rückblick auf die Podiumsdiskussion unserer Veranstaltungsreihe „Zukunft. Klima. Demokratie.“ in Köln
Der Bundestagswahlkampf hat eines sehr deutlich gemacht: Themen wie Klimaschutz spielen derzeit kaum eine Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Dabei braucht Deutschland dringend eine zukunftsgerechte Politik, die planetarischen Grenzen einhält und Investitionen in die Infrastruktur tätigt. Wie kann unser politisches System generationengerechter gestaltet werden? Können Bürgerräte dazu einen Beitrag leisten? Dazu diskutierten Anna Nora Freier (Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal), Steffen Krenzer (Mehr Demokratie e.V.), Florian Daumüller (Bürgerrat Bildung und Lernen) und Katharina Pitko-Drees (Büro für Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Köln).
„Bürgerräte sind aus der Praxis nicht mehr wegzudenken“, stellt Anna Nora Freier vom Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal gleich zu Beginn ihres Impulsvortrags klar. Laut der Datenbank Bürgerräte fanden allein im Jahr 2022 bundesweit über 40 Bürgerräte statt, viele davon auf kommunaler Ebene. Vor allem in den Hochburgen Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern wurden sie besonders häufig eingesetzt. „Ein neues Phänomen sind sie allerdings nicht“, betont Freier und verweist auf die Geschichte ihres Instituts, an dem bereits in den 1970er Jahren ein Vorläufermodell entwickelt wurde.
Das Besondere an Bürgerräten im Vergleich zu anderen Formen der Bürgerbeteiligung ist das Losverfahren, bei dem die Teilnehmenden aus dem Melderegister gezogen werden. Damit soll verhindert werden, dass sich nur diejenigen beteiligen, die sich ohnehin schon politisch einbringen und marginalisierte Stimmen nicht gehört werden. Ziel ist es, eine annähernd repräsentative „Mini-Bevölkerung“ zu schaffen, die über eine politisches Thema ausgewogen informiert wird, mit Hilfe einer neutralen Moderation diskutiert und anschließend Empfehlungen beschließt. Gerade bei Zukunftsthemen, die aufgrund des Zeitdrucks zwischen den Legislaturperioden in den Parlamenten selten die notwendige Aufmerksamkeit erhalten, hat sich das Verfahren bewährt.
Ein Update der Demokratie im Sinne der jungen Generation
Der Bedarf an neuen Lösungen für unsere Demokratie ist hoch: „Nur 18 Prozent der jungen Menschen sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden“, gibt Freier zu bedenken und verweist damit auf die Ergebnisse der aktuellen Studie „Gen Now“ der Bertelsmann Stiftung. Demnach befürworten 89% Prozent eine Reform der repräsentativen Demokratie. Vor diesem Hintergrund und angesichts der abnehmenden Kompromissbereitschaft politischer Akteure werden zunehmend Bürgerräte als mögliche Ergänzung von Parlamenten gehandelt. Sie versprechen einen Ort gegenseitiger Empathie und lösungsorientierter Diskurse – abseits von parteipolitischen Strategien, polarisierter Medienöffentlichkeit und Fake News.
Florian Daumüller ist Teilnehmer am bundesweiten Bürgerrat Bildung und Lernen, an dem auch Minderjährige beteiligt sind, und berichtet auf dem Podium von seinen positiven Erfahrungen: „Das Schöne ist, dass man sich über die Generationen hinweg austauscht, diskutiert und auch mal nicht einer Meinung ist. Das ist in Ordnung und muss auch so sein.“ Besonders begeistert habe ihn die Bereitschaft der Teilnehmenden, andere Meinungen auszuhalten und sich auf eine konstruktive Auseinandersetzung einzulassen.
Dass Kinder und Jugendliche an Bürgerräten teilnehmen, ist zwar selten, aber gerade bei der thematischen Ausrichtung auf Bildung ist ihre Meinung von großer Bedeutung. „Für uns Teilnehmende war wichtig, die Kinder aktiv dabei zu haben. Nicht nur zu sagen: Denkt an die Kinder da drüben in der Kita. Sondern mit ihnen zu diskutieren und sie mit am Tisch zu haben“, so Daumüller.

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Wirksame Bürgerräte brauchen gute Rahmenbedingungen
Neben der Bereitschaft der Teilnehmenden zur respektvollen Diskussion, sei ein klarer Auftrag an den Bürgerrat entscheidend, sagt Steffen Krenzer. Er leitet den Bereich "Demokratie und Klima" bei Mehr Demokratie e.V. und hat bereits an einer Fülle von Verfahren mitgewirkt. „Es reicht nicht zu sagen: Wir beteiligen Bürgerinnen und Bürger. Denn woran wollen wir sie beteiligen und was wollen wir von ihnen? Wenn das nicht klar ist, können auch die Antworten eines Bürgerrates nicht klar sein.“
Darüber hinaus sei es wichtig, die politische Anbindung von Anfang an zu klarzustellen. Bürgerräte können keine politischen Entscheidungen am Parlament vorbei treffen. Deshalb muss klar sein, in welcher Form sich die Politik mit den Ergebnissen des Bürgerrates auseinandersetzen wird, damit am Ende niemand enttäuscht ist, wenn Empfehlungen nicht umgesetzt werden. Um das politische Gewicht von Bürgerräten zu erhöhen, ist auch ihre Kombination mit einem Referendum denkbar. Mehr Demokratie e.V. und BürgerBegehren Klimaschutz e.V. erproben dies derzeit im Rahmen des Modellprojekts Klima trifft Kommune.
Beteiligung auf Augenhöhe
Neben der Anbindung an die Politik ist auch die Auswahl der Teilnehmenden für Bürgerräte zentral. In den meisten Fällen kommen hier quotierte Losverfahren zum Einsatz, damit die Teilnehmer*innen in etwa die Sozialstruktur der Gesamtbevölkerung abbilden. „Doch echte Repräsentativität ist schwer herzustellen“, so Katharina Pitko-Drees, Leiterin des Büros für Öffentlichkeitsbeteiligung der Stadt Köln. Als Mitorganisatorin des aktuellen Bürgerrates zur Mobilität in Kölner Vierteln kennt sie die Herausforderung, „stille Zielgruppen“ aus der Gesellschaft in Beteiligungsprozesse einzubinden. Wenn etwa die Beteiligung von Kindern gelingen solle, müssten die Formate auch entsprechend auf sie zugeschnitten werden. Das sei viel Arbeit, doch die Stadt Köln habe damit bereits sehr positive Erfahrungen gemacht.
Wie es künftig mit Bürgerräten weitergeht und ob sie weiterhin nur beratend tätig sein sollen, hängt auch vom Willen der politischen Entscheidungsträger*innen ab. Während das Interesse an den Verfahren unter Politiker*innen wächst, werden sie von einigen auch als Gefahr für die Demokratie betrachtet. „Doch die Gefahr für die Demokratie kommt von anderer Stelle“, erwidert Krenzer die Kritik. In Zeiten der Vertrauenskrise in politische Institutionen seien Bürgerräte vielmehr eine Hilfe für unsere unter Druck geratenen Institutionen – gerade auch im Sinne der jungen Generation.
Die Veranstaltung ist Teil der Reihe "Zukunft. Klima. Demokratie.", die BürgerBegehren Klimaschutz (BBK) gemeinsam mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) organisiert.
Fotos: Björn Obmann
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